18.08.2015

Update 1: eco Barometer Netzpolitik – Bundesregierung muss mehr Gas geben

  • 45 Vorhaben auf dem Prüfstand: 25 Prozent umgesetzt, 22 Prozent noch nicht angegangen
  • Noch ein Jahr bis zum Bundestagswahlkampf: 75 Prozent der Ziele noch nicht erreicht
  • Größte Baustellen: WLAN-Störerhaftung und europäischer Datenschutz
  • Fortschritte bei digitaler Infrastruktur und IT-Sicherheit

Die Bundesregierung macht Fortschritte bei der Umsetzung ihrer Digitalen Agenda, aber sie wird einen Zahn zulegen müssen, wenn Sie zumindest den Großteil der geplanten Vorhaben bis zur nächsten Bundestagswahl 2017 noch verwirklichen will. Am 20. August 2015 wird die Digitale Agenda 2014 – 2017 der Bundesregierung ein Jahr alt. eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e. V. veröffentlicht zu diesem Anlass bereits zum zweiten Mal sein Barometer Netzpolitik.
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Das Barometer zieht Bilanz im Hinblick auf bereits erfüllte und noch offene Ziele, die die Bundesregierung in insgesamt sieben Handlungsfeldern selbst definiert hat. Im Fokus des eco Barometers Netzpolitik stehen dabei die Arbeitsbereiche, die für die Internetwirtschaft politisch besonders relevant sind. Das Ergebnis: Von den untersuchten 45 Vorhaben wurde ein Viertel bereits umgesetzt, bei mehr als der Hälfte ist die Umsetzung im Gange. Zehn Vorhaben und damit rund 22 Prozent der untersuchten Punkte wurden noch gar nicht angegangen.


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Größte Baustellen: WLAN-Störerhaftung und europäischer Datenschutz

„Damit hat die Bundesregierung zwar ihre Umsetzungsquote im Vergleich zu Ende Februar fast verdoppelt“, sagt Oliver Süme, eco Vorstand Politik & Recht. Mit Themen wie der dringend nötigen Rechtssicherheit für WLAN-Anbieter, einer gesetzlichen Regelung zur Netzneutralität und der Verabschiedung der seit langem erwarteten europäischen Datenschutz-Grundverordnung seien aber auch noch durchaus dicke Bretter bis zur Bundestagswahl in rund zwei Jahren zu bohren. „Die Bundesregierung agiert hier aus unserer Sicht viel zu abwartend, nutzt ihre Gestaltungsspielräume nicht und überlässt entscheidende Weichenstellungen den europäischen Institutionen. Wir sind gespannt ob es gelingt, diese wegweisenden internet- und netzpolitischen Entscheidungen bis zum Wahlkampf anzugehen“, so Süme. Viel Zeit bleibt der Bundesregierung dabei nicht. In rund einem Jahr beginnt der Bundestagswahlkampf. 75 Prozent der Ziele aus der Digitalen Agenda sind noch nicht erreicht. Unter besonderem Handlungsdruck steht nach wie vor das Wirtschaftsressort. Bislang konnte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel noch keine der betrachteten Aufgaben auf seiner To-Do Liste abhaken.


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Fortschritte bei digitaler Infrastruktur und IT-Sicherheit

Fortschritte sieht eco insbesondere im Bereich Digitale Infrastruktur. Die Freigabe und Versteigerung von Funkfrequenzen von 700 Megaherz im Juni 2015 hat über fünf Milliarden Euro eingebracht. Davon sollen rund 1,3 Milliarden Euro je zur Hälfte an Bund und Länder fließen und in Breitbandausbau und Digitalisierung investiert werden. Dies wertet der Verband als Chance dem flächendeckenden Ausbau der Breitbandversorgung in Deutschland neue Impulse zu geben. Es bleibe allerdings abzuwarten, ob es der Bundesregierung gelingt, diese einmalige Chance für eine langfristige und nachhaltige Breitbandstrategie zu nutzen.

Auch der Bereich IT-Sicherheit hat vor allem mit dem kürzlich in Kraft getretenen IT-Sicherheitsgesetz einen wichtigen Punkt der Digitalen Agenda erfüllt. Obgleich die eigentliche Ausgestaltung des Gesetzes mit der noch ausstehenden Rechtsverordnung erst noch ansteht. Für die Internetwirtschaft wird hier besonders die Frage nach dem Anwendungsbereichs des Gesetzes im Mittelpunkt stehen. Aus Sicht der Unternehmen sei es entscheidend, im Rahmen der Rechtsverordnung die kritischen Sektoren und deren Branchen präzise zu definieren und so den Fokus eindeutig auf kritische Versorgungsdienstleistungen und die Betreiber kritischer Infrastrukturen zu legen. Die weitere Belastung von Internet- und Telekommunikationsunternehmen lehnt eco nach wie vor ab.

Vorratsdatenspeicherung kontraproduktiv

Als großen Rückschlag im Bereich IT-Sicherheit wertet eco das geplante Gesetz zur Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung. Die vorgesehenen Regelungen könnten das nach der Ausspäh- und Überwachungsaffäre mühsam wieder erlangte Vertrauen der Nutzer in Internettechnologien erneut erschüttern und bedeuteten außerdem ein Investitionsrisiko im dreistelligen Millionenbereich für die betroffenen Unternehmen. Gleichzeitig konterkariert das Vorhaben nach Meinung des Verbandes das Ziel der Bundesregierung Deutschland zum IT-Sicherheitsstandort Nr.1 zu machen, da sie eher mehr Sicherheitsrisiken schafften anstatt das Sicherheitsniveau zu erhöhen.

Das eco Barometer Netzpolitik bewertet halbjährlich, welche Fortschritte die Bundesregierung in verschiedenen für die Internetwirtschaft besonders relevanten Bereichen der Digitalen Agenda macht. Das erste eco Barometer erschien im Februar 2015.

Die aktuelle Grafik ist verfügbar unter
https://www.eco.de/wp-content/blogs.dir/eco-barometer-netzpolitik-2015-08.pdf

Die einzelnen Handlungsfelder der Digitalen Agenda in der Detailauswertung

Digitale Infrastrukturen (BMVI)

Digitale Infrastrukturen
Weit entfernt von digitaler Vorreiterrolle

Das Thema Netzausbau hat im letzten halben Jahr wieder etwas Fahrt aufgenommen. Die Versteigerung der Mobilfunkfrequenzen im Juni 2015 hat über fünf Milliarden Euro eingebracht. Davon sollen rund 1,3 Milliarden Euro je zur Hälfte an Bund und Länder fließen und in Breitbandausbau und Digitalisierung investiert werden. Dies ist zwar ein erster wichtiger Schritt, löst aber nicht alle Probleme, die speziell im ländlichen Raum bislang eine flächendeckende Verfügbarkeit von Breitband-Internet verhindern. Auch die zusätzlichen Mittel aus dem Verkauf der Funkfrequenzen werden den bestehenden Bedarf nicht annähernd decken können. eco fordert die Bundesregierung daher auf, den Breitbandausbau energischer voranzutreiben und diese Chance für eine langfristige und nachhaltige Breitbandstrategie zu nutzen.

Fazit: Von der in der Digitalen Agenda angekündigten Vorreiterrolle Deutschlands bei der Durchdringung und Nutzung digitaler Dienste sind wir nach wie vor Lichtjahre entfernt. Deutschland steht beim Thema Internetgeschwindigkeit im internationalen Vergleich nicht gut da: dem aktuellen State of the Internet Report von Akamai zufolge lag die Bundesrepublik im Ranking der Länder mit dem schnellsten Internetzugang im ersten Quartal 2015 auf Platz 26 (durchschnittlich 10,2 Mbit/s). An der Spitze steht unter anderem Irland (17,4 Mbit/s), aber auch in den Niederlanden (15,3 Mbit/s) und der Schweiz (14,9 Mbit/s) kann schnell gesurft werden. Auch Rumänien (12,8 Mbit/s) und Tschechien (13,8 Mbit/s) liegen vor uns.

Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten (BMWi/BMAS/BMJV)

Digitale Wirtschaft und digitales Arbeiten
Zögerliches Vorankommen bei den wichtigsten Zukunftsthemen

Nur schleppend in Gang kam die Umsetzung der Digitalen Agenda im letzten Jahr im Bereich Wirtschaft und Arbeit. Nach wie vor weist dieser Bereich die schlechteste Umsetzungsquote im Rahmen der betrachteten Handlungsfelder auf. Gleichzeitig hat Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel mit Themen wie der Urheberrechtsreform, der Netzneutralität und der Verbesserung der Rechtssicherheit für WLAN-Betreiber auch einige der dicksten netzpolitischen Bretter zu bohren. Im Vergleich zum letzten Halbjahr ist immerhin bei den meisten Punkten erstmals etwas in Bewegung gekommen:

  • So hat das Bundeswirtschaftsministerium im März 2015 einen Gesetzesentwurf zur WLAN-Störerhaftung vorgelegt, der sich inzwischen in der EU-Notifizierung befindet. Aus Sicht von eco bringen die Vorschläge zur Änderung des Telemediengesetzes in dieser Form allerdings keine wirkliche Verbesserung der Rechtssicherheit für WLAN Betreiber. Darüber hinaus führt der Gesetzentwurf mit dem neuen Begriff der gefahrengeneigten Dienste eine für Hosting Anbieter höchst problematische Regelung ein. An dem Gesetzentwurf besteht nach Ansicht des eco noch erheblicher Nachbesserungsbedarf.
  • Zum Thema Netzneutralität legte die Bundesregierung im Dezember 2014 immerhin ein erstes abgestimmtes Konzept – für eine Regelung auf europäischer Ebene – vor. Da sich dieser Vorschlag nicht durchsetzen konnte muss die EU nun neu diskutieren und einen Kompromiss bei der umstrittenen Regelung der Netzneutralität suchen – das Thema Netzneutralität steht wieder am Anfang.
  • Keine Fortschritte gibt es bislang bei der Modernisierung des Urheberrechts, die aber auch maßgeblich auf europäischer Ebene verfolgt wird. Während es der EU um die längst überfällige Anpassung des Urheberrechts an die Bedürfnisse der Informationsgesellschaft geht, fokussiert sich die Bundesregierung in der Digitalen Agenda bislang leider eher auf eine Verschärfung der Rechte am geistigen Eigentum sowie auf Rechtsdurchsetzung.

Es stellt sich die Frage, ob das Bundeswirtschaftsministerium mit genügend Ressourcen ausgestattet ist, um die vielen neuen digitalen Aufgaben adäquat zu bearbeiten.

Erste Bewegung kommt in das Thema „Neues Arbeiten“, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles im Rahmen ihres Dialogprozesses Arbeiten 4.0 weiter vorantreibt und dazu im April 2015 auch ein entsprechendes Grünbuch Arbeiten 4.0 vorgestellt hat.

Digitale Lebenswelten (BMFSFJ)

Digitale Lebenswelten
Zu starker Fokus auf technische Lösungen

In diesem Handlungsfeld sieht eco vor allem Fortschritte im Bereich Jugendmedienschutz. So ist die Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags mit dem Konsultationsprozess seit Sommer 2014 in vollem Gang. Der neue JMStV soll, wenn alles gut geht, Mitte 2016 in Kraft treten.

Bislang fokussierte sich die Diskussion um die Ausgestaltung der digitalen Lebenswelten oftmals auf verpflichtende gesetzliche Maßnahmen oder technische Regelungen. Wie die laufende Diskussion zu einer Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags aber zeigt, kann eine Regulierung von technischen Lösungen allein keine zeitgemäße Lösung darstellen. Freiwillige Alterskennzeichnungen, Jugendschutzprogramme oder Voreinstellungen können nur einen Baustein in einer Gesamtstrategie von Jugendschutzmaßnahmen darstellen. eco weist darauf hin, dass die Erwartungen an technische Lösungen realistisch ausfallen müssen.

Bildung, Forschung, Wissenschaft, Kultur und Medien (BMBF/ Bundeskanzleramt)

Bildung und Forschung
Zentrale Weichenstellung erforderlich

Dieses Handlungsfeld weist im Vergleich zu den anderen Bereichen wie schon im letzten Halbjahr eine hohe Umsetzungsquote auf. Hier wurden im vergangenen Jahr zum Beispiel mit dem Förderprogramm „Digitale Medien in der beruflichen Bildung“ und dem Ausbau der Hightech Strategie zur ressortübergreifenden Innovationsstrategie sehr rasch wichtige Grundlagen für eine zukunftsweisende Bildungs- und Forschungspolitik gelegt. Neu im zweiten Halbjahr dazugekommen in der Umsetzung ist die Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste, andere Projekte wie die Open Access Strategie oder Strategie Digitales Lernen sind jedoch noch nicht in Bewegung gekommen.

Besonders geprägt wird dieses Themenfeld von dem Begriff der Medienkonvergenz. Die rechtliche Begleitung und interessengerechte Ausgestaltung des zunehmenden Zusammengehens verschiedener Medienformen ist eine der zentralen Herausforderungen für die Medien- und Internetpolitik. Mit der Einsetzung einer Bund-Länder-Kommission Medienkonvergenz ist hier ein erster wichtiger Schritt zur Entwicklung einer zeitgemäßen Medienordnung erfolgt.
Die größte Herausforderung der Kommission dürfte in der Definition klar abgestimmter Kompetenzen zwischen Bund und Ländern bei der Internetregulierung liegen. eco fordert hier eine Aufsicht aus einem Guss über die in Deutschland gehosteten Telemedien. Insbesondere ist eine Neubestimmung der Regulierungsziele vor allem bei der Abgrenzung von Rundfunk und Telemedien erforderlich. Nach Ansicht des eco besteht die größte Gefahr in einer Übertragung überkommener Regulierungsmodelle aus der Rundfunkwelt auf das Internet. Das Internet ist weder ein neuer Fernsehübertragungsweg noch Rundfunk 2.0.

Im Hinblick auf die anstehende Evaluierung der europäischen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste schlägt eco eine Einschränkung des Anwendungsbereichs und eine Ausklammerung der Telemediendienste vor.

Sicherheit (BMI/BMJV)

Sicherheit
IT-Sicherheitsgesetz als Hauptprojekt

Einige politische und gesetzgeberische Initiativen wurden im vergangenen Jahr im Handlungsfeld Sicherheit, Schutz und Vertrauen auf den Weg gebracht, so dass dieses Handlungsfeld nach einem Jahr die größte Umsetzungsquote aufweist. Bei vielen der umgesetzten Initiativen konnte allerdings auf Vorarbeiten zurückgegriffen werden.

An erster Stelle ist das neue IT-Sicherheitsgesetz zu nennen, das im Juli 2015 in Kraft getreten ist. Hier steht nun die konkrete Ausgestaltung der Rechtsverordnung im Fokus. Für die Internetwirtschaft wird es dabei besonders um die Frage nach dem Anwendungsbereichs des Gesetzes gehen. Entscheidend kommt es darauf die kritischen Sektoren und deren Branchen präzise zu definieren und diese besonders in die Pflicht zu nehmen. Die weitere Belastung von Internet- und Telekommunikationsunternehmen lehnt eco nach wie vor ab. Der Verband weist außerdem darauf hin, dass das IT-Sicherheitsgesetz keine Pauschallösung für grundsätzliche aktuelle Herausforderungen in der IT-Sicherheit sein kann, gerade der Hackergriff auf die IT-Systeme des Deutschen Bundestages macht deutlich, dass Angriffsszenarien immer komplexer werden.

Keine Fortschritte sieht eco im Hinblick auf das in der Agenda definierte Ziel, Deutschland zum Verschlüsselungsstandort Nr. 1 zu machen.

Positiv bewertet eco die Initiative der Bundesregierung für eine zügige Einigung bei der Datenschutz-Grundverordnung. Wichtig ist nun, dass Deutschland sich auch bei den aktuell laufenden Verhandlungen in den Arbeitsgruppen des Rates konstruktiv einbringt und mitarbeitet, damit es endlich zu einer Einigung kommt.

Europäische und Internationale Dimension (AA/BMWi)

Europäische und internationale Dimension
Bundesregierung intensiviert Engagement

Ein Blick auf das eco Barometer Netzpolitik in diesem Handlungsfeld zeigt, dass die Bundesregierung die Bedeutung der internationaler Kooperation im Bereich Netzpolitik erkannt hat und sich aktiver beispielsweise in den europäischen Prozess zur Entwicklung eines gemeinsamen Rechtsrahmens für elektronische Kommunikation sowie die multilateralen Konsultationen im Bereich Internet Governance einbringt. Letztere hat die Bundesregierung beispielsweise mit einem gemeinsam mit eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V. erarbeiteten Positionspapier zur Frage der Nachfolgeregelung für die Kontrolle der Internet-Verwaltung ICANN (Internet Corporation for Assigned Names and Numbers) vorangetrieben.

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